Stottern: 4 Ursachen und 7 Tipps für Kinder & Erwachsene
Stottern ist ein häufiges Phänomen, unter dem Betroffene meist sehr stark leiden. Wir haben alles Wissenswerte sowie Symptome und Ursachen. Außerdem geben wir Tipps für Stotternde und Angehörige, damit sie mit der Sprechstörung besser umgehen können.
Über 800.000 Menschen in Deutschland stottern. Oft entwickeln Menschen die Sprechstörung im Kindesalter. In vielen Fällen verwächst sie sich bis zum Erwachsenenalter. Manchmal bleibt das Stottern allerdings auch bestehen.
Das ist Stottern
Stottern wird auch Balbuties genannt (vom lateinischen "balbutire" für "stottern") und gehört zu den Sprechstörungen.
Eine Sprechstörung oder ein Sprechfehler zeichnet sich dadurch aus, dass Betroffene nicht fähig sind, Laute fließend zu artikulieren.
Beim Stottern wird der Redefluss unterbrochen. Neben dem Stottern gibt es drei weitere Ausprägungen, die ebenfalls einen gestörten Redefluss haben.
Stottern äußert sich durch Pausen, Einschübe, Wiederholungen von Lauten, Silben oder Worten. Poltern gehört ebenfalls zu den Störungen des Redeflusses. Es meint eine undeutliche Aussprache durch zu schnelles Reden oder das Verschlucken von Lauten.
Das Stottern (englisch: "stuttering") wird sowohl durch eine motorische Dysfunktion ausgelöst als auch durch eine andere Verarbeitungsstruktur des Gehirns.
Außerdem gibt es noch den Mutismus und die Logophobie. Der Mutismus ist eine Phase des Nichtsprechens, nachdem die Sprachentwicklung abgeschlossen ist. Die Logophobie bezeichnet die Angst vor Sprechsituationen.
Dann fangen Kinder an zu sprechen: Stottern bei Kindern
Kinder fangen etwa ab dem ersten Lebensjahr an, einzelne Worte zu sprechen. Ab dem zweiten Jahr sind es meist kurze Sätze.
Dennoch sollten Eltern nicht in Panik geraten, wenn ihr Kind ein Spätsprecher ist. Hat es beim Essen oder Trinken und auch sonst keine motorischen Probleme, gibt es selten Grund zur Sorge. Manche Kinder fangen erst mit vier Jahren an zu sprechen und dann gleich in ganzen Sätzen.
Zu Stottern beginnen Kinder häufig im Alter von zwei bis fünf Jahren. Meist gibt es eine genetische Komponente, die früher oder später dafür sorgen kann, dass ein Kind zu stottern beginnt. Auslöser können besondere Lebensereignisse oder eine gestörte Sprachentwicklung sein. Wie du Stottern bei deinem Kind erkennst, erfährst du im nächsten Kapitel.
Äußere Symptome von Stottern
Die Symptome des Stotterns teilen sich in äußere und innere Symptome.
Äußere Symptome meinen das Stottern selbst, den kurzzeitigen Kontrollverlust über das Sprechen.
Es äußert sich in Wiederholungen von Lauten, Silben oder Wörtern wie zum Beispiel “Hu-hu-hu-hund” (klonisches Stottern).
Außerdem werden Laute gedehnt wie zum Beispiel “Mmmmama”, es gibt stumme oder hörbare Blockaden beim Sprechen wie “—–apfel” (tonisches Stottern) oder Laute werden in Form von Interjektionen (Zwischenrufen) wiederholt zwischengeschoben.
Vermeidungs- und Fluchtverhalten sind weitere durch das Stottern bedingte Symptome, was sie deshalb nur zu sekundären Erkennungsmerkmalen macht.
In der Schule werden daher zum Beispiel nur kurze, abgewandelte oder gar keine Antworten gegeben. Schwierige Wörter werden durch Synonyme ersetzt und die hohe Anspannung der Muskulatur beim Sprechen kann Grimassen oder plötzliche Bewegungen auslösen.
Innere Symptome von Stottern
Die inneren Symptome sind nach außen hin nicht sichtbar, aber dennoch eine Begleiterscheinung von Stottern.
Sie können unterschiedlich ausgeprägt auftreten und lassen sich nur durch ein Gespräch mit dem Betroffenen genauer herausfinden.
Das häufigste Symptom eines Stotterers ist Angst, unter anderem vor:
- sozialen Situationen
- Aussprache von bestimmten Vokalen und Konsonanten
- Mobbing
- Ausgrenzung
- Unheilbarkeit der Fehlfunktion
Außerdem kommt ein erhöhtes Stresslevel dazu, das von der Angst ausgelöst wird und abgebaut werden müsste. Frustration und Scham über das eigene Scheitern an der Aussprache schließen sich an. Das Selbstwertgefühl sinkt, das Selbstbewusstsein wird schwächer.
Ein negatives Selbstbild und die Annahme, andere würden den Betroffenen für nervös, schwach oder unintelligent halten, führt meist dazu, dass Beziehungen scheitern oder nicht zustande kommen. Dazu kommt das Risiko der Zurückweisung im Beruf und das Gefühl der Einschränkung.
Mögliche Ursachen von Stottern
Stottern ist eine genetisch bedingte motorische Fehlfunktion, die nach neuen Studien der Purdue University (USA) auch mit der Verarbeitungsstruktur des Gehirns zusammenhängt.
Gesagt sei, dass nicht die Erziehung der Eltern oder eine "falsche" Förderung das Stottern verursachen.
Es gibt verschiedene Ansätze für Ursachen, welche die Wissenschaft allerdings bislang nicht ausreichend belegen kann. Wir haben sie kurz für dich zusammengefasst.
Genetische Theorie
Es gibt eine Disposition, die du vererben kannst, welche die Entwicklung zum Stotternden wahrscheinlicher macht. Diese Theorie erklärt hingegen nur die Ursache, nicht das Phänomen selbst.
Neuropsychologische Theorie
Die Gehirnentwicklung erfolgt bei Stotternden anders als bei Sprechern ohne Dysfunktion.
Studien fanden zum Beispiel heraus, dass die Sprachverarbeitung bei Stotternden weniger auf beide Gehirnhälften aufgeteilt wird als bei Menschen, die flüssig sprechen. Diese Aufteilung von Prozessen auf die rechte und linke Gehirnhälfte nennt sich Lateralisierung.
Breakdown-Theorie
Diese Theorie besagt, dass Stotterer nicht die Ressourcen haben, um Sprache nach den gewünschten Anforderungen zu verarbeiten. Diese Überforderung führt zum Breakdown und somit zum Stottern oder anderen Sprachstörungen.
Lerntheorie
Symptome wie Vermeidungs- und Fluchtverhalten werden mit Lerntheorien erklärt. Die klassische Konditionierung verknüpft das Stottern mit Vermeidungs- und Fluchtverhalten und bewirkt, dass es bei Stottern unmittelbar ausgelöst wird.
Die operante Konditionierung erklärt dieses Verhalten, da Vermeidung und Flucht zu verminderter Angst führen, somit verstärkend wirken und die Wahrscheinlichkeit eines solchen Verhaltens erhöhen.
Tipps für Stotternde
Eine Therapie kann eine Linderung der Symptome verschaffen, sie aber nicht ganz verschwinden lassen.
Das Stottern kannst du allerdings durch Training, Selbstreflexion, Selbstbewusstsein und ein starkes Selbstbild zusätzlich mindern.
So hältst du die Symptome so gering wie möglich. Wir haben einige Tipps für Stotternde, die positive Auswirkungen haben.
Akzeptiere dich, so wie du bist
Ein wichtiger Faktor für Stotternde ist, ihre Sprechart zu akzeptieren. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die ebenfalls stottern – Kinder wie Jugendliche und auch Erwachsene. Befasse dich also etwas mit dem Thema, auch wenn es dir unangenehm ist.
Das Stottern gehört zu dir und es ist nichts, wofür du dich schämen solltest. Es zeugt von Kraft und Mut, den täglichen Kampf nach der Norm zu sprechen, zu bewältigen. Setze dir kleine Ziele und sei stolz darauf, wenn du Fortschritte du machst.
Kläre auch dein näheres Umfeld auf, wie es dir beim Stottern geht. So können sie besser nachvollziehen, wie du dich fühlst und besser auf dich eingehen. Im nächsten Kapitel erfährst du mehr.
Erkläre deine Situation
Stotterer werden von ihren Mitmenschen häufig missverstanden und als unintelligent oder nervös abgestempelt. Beuge diesen Vorurteilen vor, indem du deine Situation direkt erklärst. So ist es für dich leichter zu sprechen und für dein Gegenüber, sich auf dich einzustellen.
Vor einem Bewerbungsgespräch kann es zum Beispiel sehr hilfreich sein, dem Personaler vorab mitzuteilen, dass du alles verstehst, was er dir sagt.
Betone auch, dass du genau weißt, was du sagen willst, aber nun mal ein bisschen länger dafür brauchst. Auch in der Schule kann es hilfreich sein, mit dem Lehrer zu sprechen, damit er deine Mitschüler aufklärt.
Sprich mit anderen Stotternden
Suche nach anderen Menschen, die auch stottern und tausche dich aus. Vor ihnen hast du vielleicht ein besseres Gefühl zu sprechen, da sie in derselben Situation sind wie du.
Auch wenn sich der Schweregrad des Stotterns unterscheiden kann, wissen sie dennoch, wie du dich dabei fühlst.
Sprecht über Erfahrungen mit euren Mitmenschen und Strategien, die ihr entwickelt habt, um möglichst wenig zu stottern. Allein durch solche Gespräche vollstem Verständnis zu begegnen, kann dir dabei helfen, dich so zu akzeptieren, wie du bist und dich nicht so allein zu fühlen.
Glaube weiterhin an deine Mitmenschen
Leider können nach wie vor viele Personen nicht so gut mit Menschen umgehen, die ein Handicap haben. Allerdings werden es immer mehr und das Bewusstsein der Gesellschaft für sie steigt.
Es muss noch viel passieren, doch du solltest den Glauben in deine Mitmenschen nicht verlieren. Auch wenn du schlechte Erfahrungen gemacht hast, lohnt es sich, dich zu öffnen und den Menschen eine Chance zu geben.
Versuch dich durch Gesang auszudrücken
Viele Stotternde erleben ein befreiendes Gefühl beim Singen: Sie stottern nicht mehr. Das liegt daran, dass die Stimmbänder durchgehend in Schwingung sind. Der Rhythmus verleiht dem Sprechen beziehungsweise Singen Kontinuität. Dadurch, dass keine Pausen mehr gemacht werden, bricht der Sprechprozess nicht ab.
Beschäftige dich mit dem Thema
Anstatt das Stottern von dir fernhalten zu wollen, nicht zu sprechen und das Thema zu vermeiden, solltest du dich mit ihm beschäftigen.
Sieh dir Filme an wie “The King’s Speech”, der das Stottern von König Georg VI. aufgreift und eine Therapiemöglichkeit veranschaulicht.
Es gibt in Deutschland sogar drei Lokalradios, die regelmäßig Sendungen zum Thema Stottern ausstrahlen. Dort moderieren unter anderem auch Stotternde selbst.
Die Sendungen heißen “Stotterfunk” (Freies Radio für Stuttgart), “Schöner Stottern” (LORA München) und “Holper Stolper” (Radio free FM).
Mobile Anwendungen nutzen
Für eine Stottertherapie gibt es mehrere mobile Anwendungen und Computerprogramme. Dabei sprichst du in ein Mikrofon und hörst deine eigene Stimme, die mithilfe des Programms verarbeitet wird. Danach wird eine Phrase gebildet. Es gibt verschiedene Methoden, die in solchen Anwendungen greifen.
Ein Beispiel ist die Verzögerung der akustischen Rückkopplung, die die Stimme minimal verzögert aus dem Lautsprecher ausgibt und der Stotternde so lernt, Vokale zu dehnen und seine Sprechgeschwindigkeit zu verringern. Nachdem das Aussprechen sich verbessert hat, wird die Geschwindigkeit wieder normalisiert.
Eine andere Möglichkeit ist, mithilfe gereimter Texte den Redefluss wiederherzustellen – ähnlich wie beim Singen. Informiere dich über gängige Apps und Programme, um stotterfreies Sprechen zu trainieren.
Tipps für Angehörige
Stottern lässt sich mithilfe einer Therapie lindern, aber nicht völlig heilen.
Meist wird in einer Therapie an dem Selbstbild und dem Umgang des Patienten mit dem Sprechfehler gearbeitet.
Betroffene schämen sich zum Beispiel für ihr Stottern und sind deshalb nervös. Es ist ein Irrglaube, dass Menschen aus Nervosität beginnen zu stottern. Es kann das Stottern verstärken, aber es ist kein konkreter Auslöser.
Dem Stotterer das Sprechen nicht abnehmen
Stotterer neigen ohnehin zu Vermeidungsverhalten. Wenn du ihnen dann auch noch von den Lippen abliest, was sie sagen möchten, werden sie Wörter in Zukunft vermutlich gar nicht mehr versuchen auszusprechen.
Auch wenn es dir selbst unangenehm ist, auf den vollständigen Satz zu warten, solltest du dich daran gewöhnen und dir nichts anmerken lassen.
Ein skeptischer oder ungeduldiger Blick bringt den Stotterer noch mehr aus dem Konzept und könnte das Stottern verschlimmern. Stattdessen solltest du Geduld zeigen und darauf warten, was er sagen möchte.
Nicht wegschauen
Nicht wegzuschauen, ist in doppeltem Sinn wichtig. Zum einen solltest du einem Menschen beim Stottern trotzdem noch in die Augen schauen. Insbesondere wenn die Person Grimassen zieht, weil das Stottern sie sehr anstrengt, neigen Gesprächspartner dazu, wegzuschauen.
Sie denken, sie machen es dem Stotterer so angenehmer, ihn beim Stottern nicht anzusehen oder reden sich das manchmal auch ein. Meist ist es allerdings so, dass das Handicap dem Gesprächspartner unangenehm ist und er deshalb wegschaut.
Der zweite Punkt, an dem nicht weggeschaut werden soll, ist Mobbing. Wenn du merkst, dass jemand wegen seines Stotterns gehänselt oder benachteiligt wird, solltest du dich für die Person einsetzen. Informiere Lehrer, Freunde oder suche das Gespräch mit dem Betroffenen, um helfen zu können.
Stottern nicht mit Unwissenheit verwechseln
Wenn Stotternde so scheinen, als würden sie länger nach einem Wort suchen, liegt meist eine sogenannte Blockade vor.
Es fühlt sich für Betroffene so an, als würde ihnen die Luft abgedrückt werden, sodass kein Ton mehr herauskommt.
Sie wissen genau, was sie sagen möchten, aber die Blockade hindert sie daran. Meist dauert sie nur wenige Sekunden an. Vermeide also unbedingt dem Stotternden Worte in den Mund zu legen oder ihn "korrigieren" zu wollen.
Stottern nicht mit einer geistigen Behinderung verwechseln
Das Stottern ruft bei flüssig sprechenden Menschen manchmal das Vorurteil hervor, die stotternde Person könnte eine geistige Behinderung haben oder unintelligent sein. Das liegt zum einen daran, dass eine "nicht korrekte" Aussprache oder Sprache häufig mit Unfähigkeit oder mangelnder Intelligenz verbunden wird.
Zum anderen haben populärkulturelle Unterhaltungsmedien häufig die Darstellung "dummer Menschen" mithilfe von Stottern überspitzt. Dabei sind Stotterer in vollem Eigentum ihrer geistigen Kräfte und verspüren lediglich eine vom Körper ausgelöste Blockade.
Betroffene akzeptieren, wie sie sind
Es ist eine Sache, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und eine andere, das Stottern beseitigen zu wollen.
Angehörige, insbesondere Eltern, wünschen sich für ihr Kind, dass es möglichst problemlos durchs Leben geht. Deshalb neigen sie manchmal dazu, das Stottern so viel wie möglich bekämpfen zu wollen.
Der Stotternde bekommt so aber nur das Gefühl, den Ansprüchen der Angehörigen nicht zu genügen. Er verspürt Leistungsdruck und entwickelt ein Gefühl der Unzulänglichkeit, dass er nicht gut ist, so wie er ist.
Dieses Gefühl sollte unbedingt vermieden werden. Angehörige sollten empathisch und unterstützend sein, den Stotternden akzeptieren, wie er ist und ihm so viel Liebe und Verständnis wie möglich zeigen. Die Therapie beim Logopäden oder Sprachwissenschaftler sollte vor allem vom Stotternden selbst ausgehen.
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Ob selbst betroffen oder Angehöriger – in jedem Fall sollte professionelle Hilfe in Betracht gezogen werden. Angehörige lernen, wie sie am besten mit dem Betroffenen umgehen können und der Stotternde selbst kann in einer Therapie nicht nur seine Sprechfähigkeit verbessern, sondern auch an seinem Selbstwert arbeiten.
Außerdem ist es hilfreich, sich mit anderen Stotterern auszutauschen. Selbsthilfegruppen findest du zum Beispiel über die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V. (BVSS). Sie widmet sich zusammen mit 90 Selbsthilfegruppen stotternden Menschen in Deutschland.
Außerdem versucht sie, den Ursachen von Stottern entgegenzuwirken und macht mithilfe von Projekten auf Stotternde aufmerksam. Darüber hinaus klärt sie über Fehleinschätzungen des Stotterns auf und schafft Verständnis für den unterbrochenen Redefluss.